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Ellenbogenmentalität

Den folgenden Text veröfentlichte ich am 07.11.2007 auf der Plattform liberty.li. Dort ist er aber nicht mehr erreichbar, so dass ich ihn nun hier einstelle:

Marktwirtschaft, das heißt Wettbewerbswirtschaft, Konkurrenzwirtschaft. Damit verbinden wir Egoismus und Ellenbogenmentalität, jeder gegen jeden, Gewalt und Krieg, "soziale Kälte". So etwas wollen wir nicht. Müssen wird dann nicht folgerichtig dieses unmenschliche "System" ablehnen?

Nein, denn die Überlegungen die dahinter stehen, sind schlicht falsch. Natürlich gibt es in der Marktwirtschaft einen Wettbewerb - wenn auch in weniger drastischer Weise, als wir uns das allgemein vorstellen - doch ist dieser Wettbewerb nicht das bestimmende Prinzip dieser Ordnung. Er ist vielmehr die Folge eines wesentlich umfassenderen und allgegenwärtigeren Prinzips der Gesellschaft in der wir leben: Der Zusammenarbeit.

Die Grundlage der modernen Wirtschaft ist die Arbeitsteilung: Der Dienst gegenüber den anderen und der Dienst des anderen uns gegenüber (darum auch "Verdienst" und "verdienen"), der friedliche (weil ungezwungene) Tausch von Gütern und Leistungen zwischen Menschen.

Das dadurch natürlich Wettbewerb entsteht, da ein anderer auch einer bestimmten Person dienen will, der auch ich ein Angebot mache, folgt aus dieser gewaltlosen Zusammenarbeit.

Das ist prinzipiell nicht anders als wir auch in Liebesbeziehungen verfahren. Auch dort wollen wir einer Person dienen und auch dort haben wir möglicherweise Nebenbuhler, die um die Gunst der oder des Angebeteten wetteifern - konkurrieren. Und da wie dort findet dieser Wettstreit größtenteils friedlich statt. Natürlich ist es enttäuschend, ja schmerzhaft wenn die geliebte Person einen nicht erhört und sich für jemand anderen entscheidet. Aber ist das Grundprinzip der menschlichen Liebe deswegen die Konkurrenz und das Gegeneinander oder doch eher das Miteinander, das Füreinander?

Der Bezug auf die Liebe ist, weiß Gott, nicht weit hergeholt, denn es geht allgemein um menschliche Beziehungen. Wenn Menschen miteinander leben, dann gibt es Konflikte bei ihren Zielen. Der Grund warum sie aber dennoch nicht sofort die menschliche Gemeinschaft auflösen und jeweils ein Einsiedlerleben führen, liegt in dem Nutzen begründet, den das menschliche Zusammenleben mit sich bringt. Der Mensch ist ein soziales Wesen, weil es sich für ihn als nützlich erwiesen hat, weil die Kooperation in der Gemeinschaft die in der Gemeinschaft auftretenden Konflikte bei weitem überwiegt.

Wer die Konkurrenz beseitig sehen will, muss die menschliche Gesellschaft zerstören, denn die Konkurrenz ist die logische Folge aus dem friedlichen und freiwilligen Miteinander der Menschen und deren verschiedenen Zielen. Wer den Wettbewerb abschaffen will, der muss die Ziele der Menschen gleichschalten, der muss jedem seinen Platz in der Gesellschaft zuweisen, der muss bestimmen, wer mit wem wie in Beziehung tritt. Dieser Planer muss die Menschen als willenlose Maschinen betrachten, er muss Gewalt anwenden, er muss letztendlich den sozialen Menschen zerstören.

Es ist richtig, dass es Menschen gibt, die versuchen ihre Ziele mit Gewalt zu erreichen. Dies gilt sowohl im Wirtschafts- wie auch im Liebesleben. Das kann man aber weder der menschlichen Zusammenarbeit noch der menschlichen Liebe anlasten, sondern nur den konkret so handelnden Menschen. Mord, Diebstahl und Lüge sind auch in der Marktwirtschaft Mord, Diebstahl und Lüge und werden in jeder menschlichen Gesellschaft entsprechend geächtet.

Obwohl es also auch zu Morden aus Eifersucht, Betrug und sogar zu Diebstahl im Bereich der Liebe kommen kann, würden wohl nur die wenigsten die Liebe als mörderisch, betrügerisch oder gar unmenschlich bezeichnen.

Und ebenso verfehlt ist es, das freie Handeln der Menschen in einer Marktwirtschaft so zu titulieren.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Ja, es gibt Konkurrenz in der Marktwirtschaft, aber jeder, der in den Supermarkt, beim Bäcker, Fleischer oder Gemüsehändler einkaufen geht, der sein Auto in die Werkstatt, seinen Kopf (plus Körper) zum Frisör oder sein Tier zum Tierarzt bringt, der einen Internet- oder Telefonanschluss nutzt, der Strom oder Wasser verbraucht, der sich ein Haus baut oder zur Miete wohnt, der kurz zum Großteil seines Lebens die Dienste und Güter anderer Menschen nutzt und seinerseits solche anbietet, wird sehen, dass das menschliche Zusammenleben viel mehr ein Miteinander denn ein Gegeneinander ist.

Kommentare

  1. Hmm, interessanter Denkansatz und ich hab mir Gedanken gemacht, wieso er mir dennoch widerstrebt (inhaltlich)...ich denke, es hat damit zu tun, dass häufig nicht der empathisch Klügere gewinnt, sondern der Dümmere ( Ob dann der Dümmere wohl der "echte" Klügere ist?)...der, der sich nicht an Regeln hält, und auf unfaire Weise seine Ellenbogen benutzt, um andere rauszukicken, der lügt, was das Zeug hält, der mit allerlei Tricks und Hinterhältigkeiten arbeitet - ob und wieweit das der Gemüsehändler um die Ecke macht, kann ich zwar nicht beurteilen, aber auf jeden Fall heisst dieses unfaire Handeln, um seinen eigenen Vorteil zu sichern für mich "Ellenbogenmentalität" und ist mir nicht sehr sympathisch. Vielleicht arbeitet ja hier der "tierische" Selbsterhaltungstrieb gegen das Werte- und Moralkonstrukt eines vernünftigen, fairen Menschen, keine Ahnung. Wettbewerb muss ja nicht zwangsläufig unfair und hinterhältig sein oder? Oder doch?

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  2. Hallo wandawunder,

    Deiner Charakterisierung von "Ellenbogenmentalität" kann ich zustimmen. Ob diese stärker im Wettbewerb auftritt, als anderswo weiß ich nicht.

    Ich wollte im Artikel zeigen, dass in der Marktwirtschaft nicht der Wettbewerb (und damit ggf. die Ellenbogenmentalität) vorherrschend ist, sondern eher die Kooperation.

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