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Die ganze Wahrheit...



Kann mir das folgende bitte jemand erklären?

In einer Studie werden etwa 800 fingierte Bewerbungen verschickt. Alle sind ähnlich; es werden nur das Geschlecht des Bewerbers und die Angabe, ob dieser Kinder hat, variiert.

Dann wird gezählt, wie viele dieser Bewerbungen eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zur Folge haben, um zu prüfen, welchen Einfluss das Geschlecht und die Elternschaft darauf haben.

Folgendes wird festgestellt:
Die geringsten Chancen eingeladen zu werden haben Väter (14,2 %). Nicht signifikant besser stehen kinderlose Männer da. Diese haben in 14,7 % der Fälle eine Rückmeldung erhalten.

Leicht besser stehen da schon Mütter da (17 %) und die meisten Einladungen zu Bewerbungsgesprächen erhielten kinderlose Frauen (22,3 %).

Ergebnis: Die schlechtesten Chancen haben Männer, egal ob mit oder ohne Kinder; und die besten Chancen hat man als Frau ohne Kinder.

Und so berichten unsere Medien über diese Studie:

"Väter hui – Mütter pfui"

"Schon beim Jobstart von Gleichberechtigung keine Spur - das legt zumindest eine neue Studie nahe: Danach werden Mütter seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen als Männer."

"Wie das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung herausgefunden hat, werden Mütter seltener eingeladen als Väter und auch als Männer und Frauen ohne Kinder."

Kann mir das bitte jemand erklären?

Hier die Studie und der Blogpost von dem ich plagiiert habe.

Kommentare

  1. Das Verwursteln einzelner wissenschaftlicher Studien in Massenmedien ist immer fraglich. Wenn man die Studie genau liest, kann man weder daraus schlussfolgern, dass Frauen noch dass Männer benachteiligt sind. Man kann auch nicht daraus schlussfolgern, dass keiner von beiden benachteiligt ist. Der Autor listet selbst mehrere mögliche Erklärungen (ab Seite 10), warum die Ergebnisse so ausgefallen sind, wie er sie beobachtet:

    1) Der Zieljob (Eventmanager) ist eher ein Frauenberuf.
    2) Die verwendeten Bewerbungsfotos der Frauen zeigten sehr attraktive Frauen.
    3) Arbeitgeber bevorzugen eventuell junge kinderlose Frauen, weil sie wissen, dass diese sich in ihren ersten Berufsjahren besonders reinhängen, um zumindest etwas Karriere zu machen.
    4) Arbeitgeber wollen Gewichtung in dem Job halten und müssen öfter Frauen einstellen, weil diese auch häufiger in Mutterschaft gehen bzw. später nur verkürzt arbeiten.
    5) Frauen stellen eventuell weniger hohe Anforderungen (Gehalt, Urlaubstage) und das lohnt sich wirtschaftlich für den Arbeitgeber.

    Das sind also mögliche Erklärungen (Hypothesen), die weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen bedürfen.

    Die einzige statistisch signifikante Aussage (ab Seite 19), die der Autor machen kann, ist, dass Mütter im Vergleich zu kinderlosen Frauen statistisch signifikant seltener zu Interviews eingeladen werden. Bei Männer lässt sich dieser Zusammenhang zwischen kinderlosen Männern und Väter nicht nachweisen. Der Autor leitet daraus die Forderung ab, dass die Information, ob jemand Kinder hat, nichts in Bewerbungen zu tun hat und auch nicht abgefragt werden sollte.

    Alles andere, was aus dieser Studie gemacht wird (egal von welcher Seite mit welchen Zielen) ist Boulevard / Entertainment. Nicht mehr, nicht weniger.

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  2. Warum aber bekommen unbezahlte Blogger und Kommentarschreiber eine fehlerfreie Analyse der Studie hin, aber Journalisten, deren Job das ist, nicht? Inkompetenz oder Absicht?

    Und wir sprechen hier von ZDF und dem DLF, die wir alle finanzieren mit der Begründung, nur so wahrheitsgemäß informiert zu werden.

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  3. Mein Eindruck ist, dass auch du die Studie falsch interpretiert hast ("Die schlechtesten Chancen haben Männer, egal ob mit oder ohne Kinder; und die besten Chancen hat man als Frau ohne Kinder."). Es geht nicht um den Vergleich von Männern mit Frauen, da dies nicht möglich ist, siehe Seite 10.

    Man kann also nur feststellen, dass eine Mutter im Vergleich zu einer Frau stärker benachteiligt wird, als ein Vater gegenüber einem Mann (Seite 19). Für eine Frau hat es also stärkere Auswirkungen, wenn sie Kinder hat, als für einen Mann.

    Die FAZ bringt das mit "Väter hui - Mütter pfui" schön auf den Punkt, auch DLF geht in die Richtung. ZDF habe ich nicht gelesen, anhand deines Zitats wäre Darstellung aber falsch.

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  4. Ja, ursprünglich habe ich die Studie so interpretiert. Aber ich konnte nach Deinem ersten Kommentar diese Interpretation auch fallen lassen, da sie nicht notwendig für die Hauptaussage meines Beitrags war.

    Du schreibst ja, dass die Studie nur einen Intrageschlechtsvergleich zulässt, aber keinen Intergeschlechtsvergleich. Ich könne also nur feststellen, dass Mütter gegenüber kinderlosen Frauen signifikant benachteiligt werden, diese Benachteiligung bei Vätern gegenüber kinderlosen Männern jedoch nicht signifikant ist.

    Das wars. Ich kann nur Vergleiche innerhalb der Geschlechter ziehen, nicht jedoch zwischen den Geschlechtern.

    Das aber tuen DLF und ZDF:

    "...werden Mütter seltener eingeladen als Väter und auch als Männer..."

    und

    "Danach werden Mütter seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen als Männer."

    Aussagen, die, wie du selbst sagst, so nicht aus der Studie hergeleitet werden können.

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  5. Und auch "Väter hui – Mütter pfui" suggeriert, dass es einen Vergleich zwischen Vätern und Müttern gab und dass dabei herauskam, dass Väter bessere Chancen hätten als Mütter.

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    1. Nun ja, in einer gleichberechtigten Welt würde man erwarten, dass Mütter und Väter im gleichen Maß gegenüber ihren gleichen Geschlecht ohne Kinder benachteiligt werden. Das ist nicht der Fall. Für Frauen hat es viel stärkere negative Auswirkungen, wenn sie Kinder haben, als für Männer. Verkürzt: "Väter hui - Mütter pfui".

      Worum es mir aber eigentlich geht: Keine der Seiten arbeitet sauber. Jede Seite regt sich nur über die andere Seite und deren Arbeitsweise auf. Ich fände es ehrlich, wenn beide Seiten das anerkennen würden. Danach dürft ihr weiter Studien im jeweils eigenen Sinne interpretieren. Aber bitte nicht unter dem Deckmantel von angeblicher Objektivität und Wissenschaft.

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    2. Nur zum besseren Verständnis: Wenn in der Studie die männlichen Bewerbungen überhaupt keine Einladungen zur Folge gehabt hätten, dann würde die Studie zu dem gleichen Ergebnis kommen, dass Mütter hier ganz klar gegenüber Vätern benachteiligt würden, denn Väter würden ja genauso oft eingeladen werden wie kinderlose Männer (nämlich 0 Mal, was aber natürlich in keinem journalistischen Beitrag erwähnt werden würde, weil: darum geht's ja nicht).

      Also auch ein Beweis, dass Frauen gegenüber Männern benachteiligt würden und nicht umgekehrt?

      Und welche "Seiten" meinst du? Das ist mir zu pauschal. Kannst Du da Ross und Reiter benennen? Oder ist das nur ein rethorischer Trick?

      Willst Du behaupten, dass Benachteiligungen von Männern genauso viel Platz in der Berichterstattung eingeräumt wird, wie jener von Frauen? Dass es hier also keinen Grund für Kritik gibt?

      Unsere Medien sind absolut unvoreingenommen? (Und Du auch?)

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