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Mein erstes Computerprogramm

Als ich etwa zehn oder elf Jahre alt war, bekamen mein Bruder und ich einen Amiga 500 geschenkt.

Aus Ermangelung von Internet und großen digitalen Datenträgern lagen der Anschaffung außerdem einige Bücher bei, u.a. Amiga Total und ein Amiga Basic Benutzerhandbuch.

Was ich mich heute rückblickend frage, ist: Was motiviert einen Elfjährigen sich solche Bücher einzuverleiben und dann auch noch sich mit Programmierung zu beschäftigen? Die Computerspiele hätten doch genügen müssen. Es war ja nun auch nicht so, dass einen die Programmierumgebung angesprungen hätte. Man musste eine entsprechende Diskette einstecken, dann eine zweite und aus einer Vielzahl von Programmen die IDE starten.

Was auch immer der Grund sein mochte, ich las also die Einführung in Amiga Basic: Wie man einen Text ausgibt, wie man einen Text von Nutzer abfragt, wie man Punkte, Kreise und Linien zeichnet usw.

Jeden Befehl tippte ich aus dem Buch in die Kommandozeile ein und begutachtete das Ergebnis. Was mir aber nicht gelang und was mich echt frustriert hat, war die Eingabe mehrerer Befehle hintereinander und deren Ausführung als gesamte Programm. Sobald ich Enter drücke, wurde der Befehl ausgeführt. Wie bekamen die Buchautoren es nur hin, dass die Ausführung erst nach Eingabe des ganzen Programms erfolgte? Ich war echt frustriert (willkommen in der Softwareentwicklung).

Ich wollte aber auf jeden Fall etwas programmieren und nur weil mir das mit den dafür vorgesehenen Mitteln nicht gelang, war das kein Grund es nicht zu tun.

Ich war von Anfang an begeistert von Point & cClick-Adventures. Bei einem Freund hatte ich Zak McKracken™ (oder war es Maniac Mansion™?)auf dem PC gesehen und bei dem Amiga war Indiana Jones™ and the Last Crusade™ dabei. So etwas wollte ich auch erschaffen.

Wenn ich die Amiga Basic Umgebung startete, öffnete sich über dem Kommandozeilenfenster auch ein anderes Fenster, das ich immer erst schließen musste, um Befehle einzugeben. In dieses konnte ich irgendeinen beliebigen Text eingeben.

Also tippte ich ASCII-Bildchen ein. Strichmännchen, Türen, Tische, Autos...




Die erste Datei nannte ich "Start", die nächste "Gehe zu Tür" (der Amiga erlaubte Leerzeichen und lange Dateinamen) und so weiter: "Nimm Schlüssel", "Benutze Auto", "Öffne Schrank".

Ich stieß natürlich an die Grenzen, wenn ich z.B. Dinge ins Inventar einfügen wollte, es aber auch möglich war, ins nächste Bild zu gehen, ohne dass der entsprechende Gegenstand aufgenommen wurde. Oder wenn ich in einem weiteren Raum ebenfalls eine Tür öffnen wollte, eine Datei mit den Namen dieser Aktion aber bereits bestand.

Ich muss, denke ich, nicht erwähnen, dass dieses Spiel nie beendet wurde.

Eines Tages besuchte ich einen Schulfreund, wir kamen auf das Thema Programmieren und er zeigte mir, wie er in QBasic ein kleines Programm schrieb. Ich saß deprimiert daneben und erzählte, dass ich das bei mir auf dem Amiga auch ausprobiert hätte, aber jeder eingegeben Befehl immer sofort ausgeführt würde.

Ach das, meinte eher, das wäre die Kommandozeile, die gebe es bei QBasic auch. Er wechselte das Fenster (Fenster?) und zeigte es mir. Ich starte auf den Bildschirm. Ein zweites Fenster? Ja. Und wenn man in den Textfenster Befehle eingab, konnte man diese Programm dann über das Menü mittels "Run" starten. Martin, hallo? Alles in Ordnung?

Ich musste gehen. Ja, ganz schnell nach Hause. Das durfte doch nicht wahr sein. Ich lief.

Zuhause schalte ich den Computer ein. Diskette rein. Nächste Diskette rein. Icon anklicken. Das ominöse Textfenster auswählen und einen Befehl eingeben. Wahrscheinlich war es print. Ins Menü gehen "Run" klicken. Der Text erschien auf dem Bildschirm. Einen weiteren Befehl nach dem print eingeben. Wieder "Run". Beide Befehle wurden ausgeführt.

Wer kennt dieses euphorische Hochgefühl, wenn man tagelang, wochenlang vor einem unlösbar scheinenden Problem steht, und sich dann plötzlich, wie durch Zufall eine Lösung präsentiert? Dieses Gefühl, bei dem das Gehirn mit was weiß ich für Hormonen überschwemmt wird und all den vorher erfahrenen Frust vergessen macht?

Dieses leider nicht sehr häufige Gefühl begleitet mich seit diesem Tag als Programmierer. Genau wie das seit diesem Tag viel öfter, ja fast täglich ausgerufene Mantra:

"Oh Mann! Ich bin so dumm, so dumm! Wie konnte ich nur so blöd sein?"

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