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Des Kaisers

Die Sonne war noch nicht aufgegangen und die Welt lag noch im Zwielicht, als sich eine Gestalt aus dem Nebel schälte.
Die Wache am Burgtor richtete sich auf. "He, wer da?"
Die Gestalt gab keine Antwort. Die Wache legte ihre Hand bereits auf ihren Schwertknauf, da erkannte sie das Wappen an der Kapuze. Die Graue Eminenz!
Schnell sank sie auf die Knie.
"Ist Majestät Tjorven im Palast?"
Die Wache nickte. Ohne ein weiteres Wort ging die Graue Eminenz durch das Tor. Als die Schritte verhalt waren, richtete sich die Wache wieder auf und sah der Gestalt hinterher. Wie vorhergesehen war sie nun also gekommen, um die Geisel auszulösen. Die Wache straffte sich und ging zurück auf ihren Posten. Doch diese kurze Ablenkung hatte ausgereicht, dass sich eine weitere Person unerlaubt Zutritt über die Burgmauer verschafft hatte.

Hier beenden wir diesen kurzen Ausflug in die Welt der Fantasy. Es wird bestimmt noch blutig werden. Aber das hat uns nun nicht mehr zu interessieren. Wir wollen einer spannenderen Sache auf die Spur kommen. Ich bitte meine Leser einmal in sich zu gehen und sich zu fragen, ob sie beim Lesen des Abschnittes ausschließlich an Frauen gedacht haben.

Bei der Gestalt? Oder der Wache? Der Grauen Eminenz? Bei der Majestät? Auf jeden Fall bei der Geisel? Und die Person, die über die Mauer geklettert war? Alles Frauen? Andere Bilder hätten Euch bei diesen grammatisch weiblichen Begriffen nicht in den Sinn kommen dürfen. Nicht laut der Gender-Genus-Theorie, nach der das Genus das biologische Geschlecht bestimmt - und nach der wir gerade eifrig unsere Grammatik umbauen. Bei einer Wache denkt doch schließlich jeder sofort an eine Frau. Logisch!

Schauen wir uns einen anderen Textschnipsel an:

"Die nun auftretenden Berühmtheiten brauche ich wohl kaum noch weiter vorzustellen: Die eine ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Metallurgie und die andere eine Ikone der Weltliteratur. Begrüßen Sie mit mir..."

Ja wen? Können doch nur zwei Frauen sein, richtig? Männer würden bei diesen Wörtern doch gar nicht passen.

Noch zwei kleine Beispielsätze:

"Oliver Twist war eine Waise."

"Napoleon ist eine umstrittene Persönlichkeit."

Ist doch alles falsch! Das widerspricht doch der Gender-Genus-Theorie. Wie ist das zu erklären?

Vielleicht - aber nur vielleicht - ist ja die Gender-Genus-Theorie und ihre Behauptung, dass das grammatische Geschlecht unsere Vorstellung vom biologischen Geschlecht bestimmt, falsch? Nur so eine Idee.

Vielleicht filtert unser Sprachzentrum das Genus einfach heraus, bevor die Begriffe in unserem Verstand ankommen. Und welche Vorstellungen wir uns dann von diesen Begriffen machen, hängt von unseren Erfahrungen, unseren Vorurteilen, kurz: von dem ab, was wir gelernt haben, mit diesen Begriffen zu verbinden.

Wer in seinem Leben nur Frauen als Erzieher erlebt hat, wird bei diesem Begriff nur an Frauen denken. Und wer nur Männer als Piloten im echten Leben oder in den Medien vorgestellt bekommt, verbindet diese Bilder mit diesem Begriff.

Das schöne aber ist, dass wir Menschen lernen können. Die Bedeutung von Begriffen kann sich erweitern, verengen, verschieben oder sogar ins Gegenteil verkehren. Wissen wir alles. Haben wir in unserem eigenen Leben immer wieder erfahren. Können wir bei kleinen Kindern jeden Tag erleben.
"Was ist das?" - "Ein Auto."
"Da, noch ein Auto!" - "Nein, wenn es nur zwei Räder hat, ist es ein Motorrad."
"Da, noch ein Motorrad!" - "Nein, das ist ein Fahrrad. Ein Fahrrad hat keinen Motor, da muss man selbst treten".

Das ist echt kein großes Ding. Da muss man auch nicht die Schulbank drücken oder studieren. Das schafft unser Gehirn im Vorbeigehen.

"Guten Tag, hier spricht Käpt’n Kathryn Janeway. Ich begrüße Sie auf den Flug nach Florenz. Wir haben sonniges..." Oh, unser Pilot ist eine Frau. Das überrascht mich aber. Dass Frauen Piloten sein können, habe ich gar nicht gewusst. Abgespeichert!

Wer also glaubt, dass Schüler oder Lehrer oder Studenten oder Professoren nur männlich sind, dem empfehle ich, einfach mal in einer Schule oder Universität vorbeizuschauen. Augen öffnend. Problem gelöst!

"Ja, ich habe das ja begriffen," höre ich jetzt vielleicht einen Leser denken, "aber Frauen..." - Ja?
"...also Frauen und non-binäre Menschen..." - Ja?
"...also, die fühlen sich bei grammatisch männlichen Begriffen nicht mitgemeint."

Der fragliche Leser stellt also die Behauptung auf, dass die intellektuelle Leistung, vom grammatischen Geschlecht zu abstrahieren, die für Männer anscheinend kein Problem darstellt (ich habe noch von keinem Mann gehört, der sich beschwert hätte, er möchte nicht als Koryphäe bezeichnet werden, weil er sich durch das Femininum nicht mitgemeint fühle) keine sei, zu der Frauen und non-binäre Menschen in der Lage wären.

Und um nun diesen weniger intelligenten Menschen eine Hilfestellung zu geben, müssen wir nun immer noch irgendwie eine grammatisch weibliche Begriffsform einfügen oder versuchen das grammatisch männliche Geschlecht zu vermeiden. Weil, so die Gender-Genus-Theorie, Frauen und non-binäre Menschen es sonst nicht begreifen.

Als was anderes könnte man diese Vorstellung bezeichnen, wenn nicht als frauen- und menschenverachtend?

Der Begriff "geschlechtergerecht" würde einem da aber wohl kaum in den Sinn kommen.

Wenn ich also einen Text mit Doppelnennung, Trennzeichen (Stern, Doppelpunkt, Schrägstrich, Binnen-I) oder unpassenden Partizipformen sehe (und höre), weiß ich, welche Meinung über Frauen der Absender hat.

Beim nächsten Eintrag zu diesem Thema beschäftigen wir uns dann mit der Frage, warum eine solche Idee so erfolgreich sein kann. Wer schon vorarbeiten will und sich mit Dingen wie Immunisierungsstrategien und Framing beschäftigen möchte, dem empfehle ich den Artikel "Des Kaisers neue Kleider" von dem Sozialwissenschaftler Hans Christian Andersen.

Kommentare

  1. Also mit Janeway würde ich nich fliegen, da landet man nur wieder ganz woanders.

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    1. Dafür kommst du viel weiter als du eigentlich bezahlt hast.

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  2. Das Gendern ist aus meiner Sicht eine Alibi Handlung: Es ist relativ leicht umsetzbar und man zeigt damit noch öffentlich seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Es ist vergleichbar mit einem Like in sozialen Medien. Echte Veränderungen hingegen sind schwer und erfordern viel Engagement.

    Allein, diese Diskussion kann man momentan nicht führen. Die Gesellschaft ist zu gereizt.

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